Das Herz allein

Von Andreas Weber.

Begrüßungen sind neuerdings oft Abschiede. Oder jedenfalls von der Vorahnung erfüllt, dass ich bald gezwungen sein werde, Abschied zu nehmen.

Ich spreche nicht unbedingt von Menschen, die ich kennenlerne – obwohl auch da manchem Treffen rasch ein Lebewohl folgt. Nein, ich spreche von den anderen leuchtenden Gestalten, in denen sich die Lebendigkeit verschenkt. Von den Mehlschwalben, die in diesem Sommer wieder unter der Dachtraufe brüten, obwohl Hitze viele Küken getötet hat. Vom Roten Ordensband, einem Nachtschmetterling, den ich nur zweimal im Leben gesehen habe – das letzte Mal im Staub, Opfer des Zusammenstoßes mit einem Auto.

Wenn ich einem solchen Gefährten aus der Fülle der Welt begegnete, war es schon immer so: Mein Herz machte vor Freude einen Sprung. Zunehmend aber beobachte ich mich dabei, wie ich mich frage: Werde ich dieses Wesen wieder sehen? Wird mir eine Begegnung im nächsten Sommer geschenkt werden? Zunehmend ist das Kennenlernen schon ein Trauern.
Ich will damit nicht sagen, dass all diese Wesen vom Aussterben gefährdet sind. Schwalben sind noch immer fast Allerweltsvögel. Aber bedroht sind sie doch, nämlich vom Verschwinden dort, wo ich sie begrüßen darf. Noch ein überheißer Sommer, noch weniger Insekten in der Abendluft, und die Schwalben, die ich kenne, sind fort – so, wie ein Lächeln im Gesicht erlischt und Leere hinterlässt.

Was schwindet, ist das Lächeln des Lebens. Und das bricht mir das Herz.
Das Herz sei das unsichtbare Organ, mit dem wir die Liebe erkennen, sagen die Sufis, das Organ auch, mit dem die Liebe gegeben wird. Jeder wilde Mohn, jede violette Kardenblüte, jeder sich auf ihr wiegende Kaisermantel ist das Herz – der Punkt, an dem sich alles als Geschenk enthüllt.

Die Wirklichkeit ist eine Gabe, so wertvoll und so unerschöpflich wie der eigene Atem. Wer diese Wirklichkeit nicht empfängt, wer sie mit Füßen tritt, wer sie Sachzwängen opfert, handelt herzlos.

Ich habe damit begonnen, das Verscheuchen von Leben als Symptom einer um sich greifenden Herzlosigkeit aufzufassen. Der Laubsauger, der alles durch seine Scherkräfte zermust. Die in Folie eingeschlagene Grassilage, in der auch was kein Gras ist, zu Grünfutter mazeriert. Die aus Ordnungsliebe herabgeschlagenen Schwalbennester.
Wir leben in einer herzlosen Welt, und das zeigt sich. Vielleicht ist alles, was jemand zum Leben braucht, dass sich das Herz mit Liebe füllen darf. Die einzige Ethik, die uns fehlt, ist dann die, unserem Herzen zu erlauben, was es zu tun imstande ist: Leben zu spenden.